Gesendet im 1. Deutschen Fernsehen (ARD)
Moderatorin: Sparen, sparen, sparen, denn der Staat ist klamm. Wo immer es irgendwie geht, wird gestrichen. Nur eins bleibt heilig – im wahrsten Sinne des Wortes – : die Kirche, das reichste Unternehmen der Republik. Experten schätzen ihr Gesamtvermögen auf fast eine halbe Billion Euro. Nun mag man denken: Schön für die beiden großen Kirchen, aber was hat das mit dem Sparen des Staates zu tun? Schließlich haben wir ja vor 200 Jahren diese beiden Systeme mühevoll voneinander gelöst. Aber der sogar im Grundgesetz festgeschriebenen Trennung von Staat und Kirche zum Trotz zahlt auch heute noch, im 21. Jahrhundert, jeder Bürger – abseits der Kirchensteuer – ganz kräftig für die Kirche – egal ob Mitglied oder nicht.
Jochen Gräbert und Clemens Oswald über die Milliardenhilfe für unser „Heiligstes“:
Sprecher: Großheubach in Bayern: Hier bittet die Kirche jeden zur Kasse – auch den ungläubigen, auch den Moslem. Denn mit der Kirchensteuer gibt man sich hier noch lange nicht zufrieden. Und so muss Bürgermeister Oettinger noch immer für ein Ereignis zahlen, das nun schon zwei Jahrhunderte zurückliegt – für die Trennung von Staat und Kirche, die so genannte Säkularisation im Jahre 1803. Seit damals muss die Gemeinde für Kirchenrenovierung bezahlen. Oettinger führt uns durch den kirchlichen Pfründen-Dschungel.
Günther Oettinger, CSU, Bürgermeister: Ja, und hier geht es um echt sehr viel Geld, hier geht es um die Kirchenbaulast, Verträge aus dem Jahre 1803. Hier möchte die katholische Kirche von uns 180.000 €. Wir akzeptieren diese Verträge zur Zeit nicht mehr. Ich kann nicht Verträge aus 200 Jahren zurück auf die heutige Zeit anwenden.
Sprecher: Die Kirche ist da anderer Meinung, und es wäre nicht das erste Mal, dass sie den rebellischen CSU-Bürgermeister kalt abserviert. Der hat nämlich schon einmal den Aufstand geprobt: Da ging es um eine Naturalabgabe, das sogenannte Kornreichnis, auch eine Entschädigung für die Säkularisation, jedes Jahr neu berechnet nach dem aktuellen Getreidepreis.
Günther Oettinger: Ja, hier haben wir die Ablichtung einer Urkunde aus dem Jahre 1853: das sogenannte Kornreichnis, wo wir der Katholischen Kirchenstiftung jedes Jahr den Gegenwert von 18,5 Hektoliter Roggen überweisen – ca. 130 € pro Jahr.
Sprecher: Nach 200 Jahren sei es doch mal an der Zeit, sich wenigstens vom läppischen Kornreichnis freizukaufen – dachte der Bürgermeister. Doch beim Geld kennt die Kirche keine Gnade. Sie forderte als Abfindung für die nächsten 100 Jahre 32.000 €.
Selbst Weihrauch wird vom Staat bezahlt
Großheubach ist überall, auch im bayrischen Eichstätt. Viel Pomp, als der neue Bischof, Walter Mixa, geweiht wird. Alles auf Staatskosten – versteht sich, denn der Eichstätter Hirte und seine sechs bayrischen Amtskollegen beziehen ihr komplettes Gehalt vom Steuerzahler – und das Amtsgebäude auch.
So zahlt Bayern in diesem Jahr für die Gehälter seiner sieben Bischöfe und Erzbischöfe 655.000 €; Zulagen für 12 Weihbischöfe 99.000 €, Gehälter für 14 Dignitäre 737.000 €, für 60 Kanoniker 3.914.000 €, für 42 Domvikare usw. Endlos die staatlich finanzierte Lohnliste des Kirchenpersonals. Selbst Weihrauch wird vom Staat bezahlt. Insgesamt kassieren die beiden großen Kirchen in Bayern in diesem Jahr vom Staat aufgrund alter Rechtstitel 85.932.000 €.
Da stellen sich natürlich Fragen. Doch politisch verantwortliche Minister oder Staatssekretäre standen für ein Interview nicht zur Verfügung. Der einzige, der sich für zuständig erklärte und der nicht krank war oder aus Termingründen leider verhindert – ein Beamter. Und der stellt ganz nüchtern fest, dass das, was er da treibt, eigentlich verfassungswidrig ist.
Frage des Sprechers: Wie lange sollen die Zahlungen an die Kirche noch weiterlaufen? Hundert Jahre, zweihundert Jahre, tausend Jahre?
Josef Erhart, Kultusministerium Bayern: Im Grundgesetz ist ein Artikel, in dem drinsteht, dass der Bund die Grundlagen für die Ablösung dieser alten Verpflichtungen festlegen muss. Der Bund hat diese Festlegungen bis heute noch nicht getroffen, sodass wir Schwierigkeiten sehen darin, einfach zu sagen: „Wir stellen diese Zahlungen ein.“
Norbert Kleybold, Generalvikar Bistum Münster: Ich kann nur sagen, hier gibt es Rechtstitel, und diese Rechtstitel gibt man nicht einfach auf. Wenn der Staat oder wenn die Kirche der Meinung sind, sie seien obsolet, dann muss man darüber reden. Dass man fair miteinander redet, zu einer fairen Regelung kommt, ist klar. Aber ich sehe da überhaupt kein Unrechtsbewusstsein.
Sprecher: Ist die Kirche ein hartnäckiger Verhandlungspartner?
Josef Erhart: Die Kirche hat jedenfalls 2000 Jahre Erfahrung in solchen Sachen.
500.000.000,- € für alte und uralte Rechtstitel
Sprecher: Und so kassieren die Kirchen in diesem Jahr bundesweit fast 500.000.000 € vom Staat für alte und uralte Rechtstitel. Manche reichen 500 Jahre zurück, die meisten bis 1803, dem Datum der Säkularisation unter Napoleon. 200 Jahre lang gehen seitdem Staatsform und Herrscher unter, neue stiegen auf. Was stets blieb, waren die Pfründe der Kirche. Auch beim Neubeginn der Bundesrepublik – der erzkatholische Kanzler Adenauer ließ alte Rechte der Kirche neu festschreiben.
Dr. Carsten Frerk, Politikwissenschaftler: Und es ist für mich ein Unding, dass zusätzlich zu diesen älteren Rechtstiteln, die nach der Verfassung abgelöst werden sollen, in der Nachkriegsgeschichte immer mehr Zahlungsverpflichtungen vom Staat eingegangen worden sind, die die Kirche gefordert hat und bekommen hat.
Sprecher: Carsten Frerk hat das finanzielle Geflecht zwischen Staat und Kirche in jahrelangen mühseligen Recherchen erstmals komplett durchleuchtet. Ein kaum durchschaubares, von der Kirche sorgsam abgeschirmtes Zahlengewirr. Eine überraschende Erkenntnis:
Dr. Carsten Frerk: Bayern, dachte ich auch, das schwarze Bayern zahlt das meiste – wieder pro Kopf umgerechnet. Aber ich habe auch dazugelernt in vielen Fragen: Die Spitzenreiter in der Bezahlung pro Kopf sind Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, und dann erst kommt Bayern.
Sprecher: Nordrhein-Westfalen: Hier fließen in diesem Jahr über 1,5 Milliarden € Steuergelder an die Kirchen und ihre Einrichtungen. Ein Tabuthema auch im Düsseldorfer Parlament. Denn welcher Abgeordnete will schon Krach mit den mächtigen Kirchen riskieren? Und so wissen nicht mal die Experten, wieviel sie selbst für die Kirchen ausgeben.
Frank Sichau, Kirchenexperte der SPD: Ich kann Ihnen das nicht beantworten, da werden Sie wahrscheinlich auch lange suchen müssen.
Sprecher: Wie hoch ist die Summe etwa Nordrhein-Westfalens, die an die Kirche bezahlt wird?
Hans-Ulrich Klose, Kirchenexperte der CDU: Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil das auch mehrere Titel sind ...
Joachim Schulz-Tornau, Kirchenexperte der FDP: Muss ich ganz offen sagen, das weiß ich nicht. Das ist auch mal ein Hinweis darauf, sich damit vielleicht auch einmal persönlich auseinander zu setzen.
Sprecher: Wenn man sich damit auseinandersetzt, würde einem auch auffallen, dass die beiden Kirchen keineswegs so arm sind, wie sie sich immer geben. Auf über 400 Milliarden € wird ihr Vermögen taxiert. Umso absurder die vielen Gefälligkeiten des Staates für die Kirchen – oftmals reine Subvention.
Beispiel Frankfurt – Evangelischer Kirchentag 2001: Der Staat zahlt den Löwenanteil, und das nennt sich dann ganz harmlos „Zuschuss“. Der Kirchentag kostete 11,8 Millionen €, davon zahlte der Staat 5,5 Millionen, und damit doppelt soviel wie die Kirche. Die beteiligte sich mit 2,8 Millionen €, der Rest kam von den Teilnehmern.
Beispiel Ausbildung: Der Staat zahlt das komplette Pfarrerstudium an kirchlichen Fakultäten, rund 30 Millionen Euro pro Jahr – schätzen Experten.
Beispiel Militärseelsorge: Der Bund zahlt alles, vom Gehalt der Pfarrer bis zu den Kultgegenständen – 26 Millionen Euro in diesem Jahr.
Insgesamt flossen im Jahr 2000 fast 20 Milliarden Euro an die Kirchen und ihre Einrichtungen. Kritiker sprechen deshalb von einer zusätzlichen „heimlichen Kirchensteuer“, die jeder aufbringen muss, unabhängig davon, ob er Kirchenmitglied ist.
Welchen Gegenwert bekommt der Staat?
Sprecher: Welchen Gegenwert bekommt der Staat für seine doch erheblichen Leistungen an die Kirche?
Norbert Kleybold, Generalvikar Bistum Münster: Das Engagement derer, die sich von der Kirche in den Dienst nehmen lassen und die dann in den kirchlichen Einrichtungen zum Wohl der Gesellschaft handeln und arbeiten, im Kindergarten etwa, indem Kinder dort Aufnahme finden.
Sprecher: Wie auch hier im Württembergischen Neckarwestheim. Dennoch hält Bürgermeister Mario Dürr wenig von der angeblichen Wohltätigkeit der Kirche. Denn wie in ganz Deutschland sinkt auch hier seit Jahren der finanzielle Beitrag der Kirche für den eigenen evangelischen Kindergarten. 17% der Kosten trägt die Kirche noch, den Rest bezahlt der Staat.
Mario Dürr, Bürgermeister: Wir haben einen Kindergarten, der zu 83% von der Gemeinde finanziert wird, und es steht eben „Evangelischer Kindergarten“ außen drauf. Und normalerweise sollte ja das außen draufstehen, was innen drin ist. Und innen drin ist eigentlich die Gemeinde zu 83%. Also müsste eigentlich genau genommen „Gemeindlicher Kindergarten, sponsored by Evangelische Kirche“ draufstehen.
Sprecher: Dabei ist der Landesdurchschnitt in Baden-Württemberg noch verheerender. Ganze 7% beträgt der Anteil der Kirchen an der Finanzierung ihrer Kindergärten. Kein schlechtes Geschäft, wenn man den Imagegewinn der Kirchen bedenkt und ihr offen erklärtes Ziel, den christlichen Glauben unter den Kleinen zu verbreiten.
Dr. Carsten Frerk: Die Menschen denken, wenn eine kirchliche Bezeichnung draufsteht, sozusagen ein Etikett drauf ist, dann zahlt die Kirche zumindest den überwiegenden Teil. Es ist aber nicht so. Und deshalb ist das alles eigentlich ein Etikettenschwindel.
Sprecher: Wo Kirche draufsteht, soll auch Kirche drin sein. So sehen es wiederum die Kirchen und ihre Einrichtungen. Zwar werden die meisten der rund 1,2 Millionen Kirchenjobs vom Staat bezahlt, aber die Bedingungen diktiert die Kirche. Vor allem auf die Kirchenmitgliedschaft legt sie Wert. Diese Klinik in Weimar wird vom Staat finanziert. Nach der Fusion mit einem kirchlichen Krankenhaus gilt jetzt für alle Angestellten das kirchliche Sonder-Arbeitsrecht. Schwester Rita fühlt sich diskriminiert. Als Nicht-Kirchenmitglied kann sie in bestimmte Leitungspositionen nicht mehr aufsteigen. Und obendrein hat die ehemalige Betriebsrätin jetzt als sogenannte Mitarbeitervertreterin deutlich weniger Rechte. Die Kirchen verbieten nämlich Betriebsräte.
Rita Eberhardt, Krankenschwester: Das Unfassbare ist daran für mich wirklich: Als Betriebsrätin wäre ich ein gleichgestellter Partner der Geschäftsleitung, und jetzt fühle ich mich als Bittsteller - nicht nur fühlen, es wird auch tagtäglich praktiziert, dass man ein Bittsteller ist. Und das ist für mich unbegreiflich, dass in einem staatlich finanzierten Haus man als Bittsteller auftreten muss.
Sprecher: Weniger Mitbestimmung und Konfessionszwang – alles im Namen der christlichen Dienstgemeinschaft. Und Reinigungskräfte der Diakonie sollen bis zu 30% weniger Lohn erhalten, können sich aber nicht einmal wehren, denn das kirchliche Arbeitsrecht verbietet ein Grundrecht – den Streik.
Markus Rückert, Verband diakonischer Dienstgeber: Streik, müssen Sie wissen, kommt aus dem 19. Jahrhundert aus der Mottenkiste dieser Zeit. Also, ich sage Ihnen ehrlich, mir tun immer die Leute leid, die da mit rotem Regenmantel, roter Kapuze, roter Trillerpfeife dastehen müssen irgendwo und ein bisschen Remmidemmi machen, und das nennt sich dann Streik. Und kaum sind die Kameras abgebaut, verflüchtigen sie sich wieder. Das ist nicht die Form der Auseinandersetzung, die ich auch für diese Leute für angemessen halte.
Sprecher: Auf ewig Frieden und Einvernehmen. Das Prinzip, nach dem auch der Staat verfährt – gegenüber den Kirchen wenigstens. Aber bei Finanzen oder im Arbeitsrecht: Der Staat hat’s gegeben, die Kirche lässt sich’s nicht nehmen.
(Ende des Films) [Mehr]