Dieter Potzel: Ich möchte nun eine Frage an Herrn Professor Mynarek stellen: In der Bergpredigt sagt Jesus von Nazareth: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln, die die Motten und der Rost fressen.“ Das ist doch ein deutlicher Widerspruch zu dem, was wir eben über die Kirchenfinanzen gehört haben. Ist das nicht sogar das Gegenteil dessen, was Christentum eigentlich, von Jesus von Nazareth ausgehend, sein sollte? Warum machen sie es trotzdem?
Prof. Hubertus Mynarek: An jede neue Bewegung, die etwas Neues, Ideales, bringt, hängen sich Lumpen, Halunken und Gangster. Das frühe Christentum im ersten und zweiten Jahrhundert war eine neue Bewegung. Sicher hatte es viele Elemente von den heidnischen Religionen übernommen, aber es war eine Jesus-Bewegung, die neuen Wind in die Geschichte brachte.
Doch diese neue Religion, das merkten viele Machtmenschen und Geldmenschen, ist zu etwas gut: Man kann nämlich mit ihr unter einem Vorwand, unter dem Vorwand der Frömmigkeit und Religiosität, viel Geld scheffeln.
Selbst der Kaiser im Anfang des 4. Jahrhunderts, Kaiser Konstantin, merkte das. Sein Reich war gespalten, er besaß ja nur noch West-Rom, das heißt den westlichen Teil Europas, und auch in diesem Reich gab es Erschütterungen und es drohte zu zerfallen.
Da erkannte er diese christliche Bewegung und sagte sich: Damit kann ich meine Macht zementieren. Und er kam auf die Idee: Wenn ich diesen Bischöfen, diesen Presbyteroi und den Episkopoi, diesen Verwaltern, von denen Herr Holzbauer sprach, Geld, Privilegien, Häuser, Paläste und Vorrechte gebe, dann werden sie mir aus der Hand fressen.
Und tatsächlich, so geschah es. Auf der Synode von Nizäa im Jahre 325 erschien der Kaiser im Sonnenkleid der Mithras-Religion, frenetisch gefeiert von den Bischöfen, und sie – die katholischen Bischöfe – beteten ihn an als den Präsentissimus Deus, als den allgegenwärtigsten Gott. Das wird leicht vergessen. Das Konzil von Nizäa, das in der Kirchengeschichte so gelobt wird, ist nicht etwa von einem Papst – der war ja damals noch nicht mal anerkannt – einberufen worden, sondern von Kaiser Konstantin. Und nun hören Sie, wie damals einer der berühmtesten Bischöfe, der Bischof Eusebius von Cäsarea, dem Kaiser huldigte:
„Wie Helios“ – also die Sonne – „seine Strahlen über die Erde sendet, so der Kaiser die Lichtstrahlen seines edlen Wesens. In Dunkel und finsterer Haft hat Gott ein großes Licht aufleuchten lassen in seinem Diener Konstantin.“ Ja, sie haben ihm, dem Kaiser, sogar die Unfehlbarkeit bescheinigt; die päpstliche entstand erst im 19. Jahrhundert.
Damals schon die Unfehlbarkeit – jedoch für den Kaiser, was bedeutet: Du kannst gar nicht irren, weil du vom heiligen Geist getrieben bist. Zugleich erschien er im strahlenden Umhang eines Purpurmantels, er leuchtete im Lichterglanz, die Sonnenkrone als Nimbus, Gloriolen eines Heiligen. Erst später haben sie den Reinen und Märtyrern den Heiligenschein verliehen, doch zuvor dem grausamen Tyrannen Konstantin.
Sehen Sie, das ist nicht bloß eine Episode aus der Vergangenheit, sondern das ist das Muster. Es zeigt exemplarisch, wieso Staat und Kirche zusammenhängen. Da ist auf der einen Seite die Krake, die geldgierige Krake Kirche, und auf der anderen Seite der Staat, der nun nicht mehr wie Kaiser Konstantin ein Konzil einberuft, sondern der hinter der Kirche herdackelt – in jeder Hinsicht. Politiker wagen nie, egal welcher der vier Parteien sie angehören – sie wagen nie ein Wort gegen die Kirche, sie wagen nie Widerstand, nicht bei der kleinsten Bitte der Kirche. Bei der kleinsten Anweisung der Kirche wird gezahlt – noch und nöcher. So ist die Geschichte der Kirche, die es bis heute versteht, jeden um den Finger zu wickeln.
Nehmen Sie Mussolini im 20. Jahrhundert. Zunächst ein klarer Atheist, der sogar ein Buch geschrieben hatte »Es gibt keinen Gott«, oder ein anderes: »Die Mätresse des Kardinals«. Doch nun erkannte Mussolini: Wenn ich mit der Kirche paktiere, habe ich einen großen Teil der italienischen Bürger hinter mir. Auf einmal beschloss er, der Kirche Privilegien zu geben. Und die Kirche ist dankbar, wenn sich einer in ihr Schlepptau nehmen lässt. Kardinal Ratti, der spätere Papst Pius XI., sagte schon ein Jahr vor seiner Papstwahl: Mussolini macht schnelle Fortschritte und wird mit elementarer Kraft alles niederringen, was ihm in den Weg kommt. Mussolini ist ein wundervoller Mann.
Und als er dann Papst war, erklärt er: Für Italien hat Gott einen solchen Mann erweckt. Er allein hat erfasst, was sein Land benötigt, nämlich Aufhebung der Presse- und Versammlungsfreiheit, Kruzifixe zurück in die Schulen. Und anstatt des Denkers Immanuel Kant haben sie – selbst an den Universitäten – Thomas von Aquin und Augustinus in die Ausbildung gebracht.
Sechs katholische Geistliche holte Mussolini in sein erstes Kabinett. Sie sehen den großen Bogen von Kaiser Konstantin, Anfang des vierten Jahrhunderts, zu Mussolini.
Nehmen Sie ein anderes Beispiel – Hitler. Hitler hatte gegen die Kirche gehetzt, bevor er an die Macht kam, und hatte dem Generalstabchef des Zweiten Weltkrieges, Ludendorf, gesagt: Wenn wir mal an der Macht sind, beseitigen wir die Kirche.
Als nun Hitler an der Macht war, kam General Ludendorf zu ihm und fragte: Wann beseitigen wir denn nun die Kirche? – Ja, sagte Hitler sinngemäß, wissen Sie, Sie sind nur noch Privatmann, ich aber bin Staatsmann. Ich muss mit der Macht der Kirche rechnen.
Und was die Journalisten angeht: Sie glauben nicht, wie viele Journalisten ich Ihnen nennen könnte, von großen Zeitungen, ob Süddeutsche, ob FAZ, ob Die Welt usw., die, wenn sie ein paar Flaschen eines guten Weines bekommen – der über hundert Mark die Flasche kostet –, plötzlich wunderbar im Mainstream der Kirche schreiben, auch wenn sie vorher kritisch waren. Auf allen Kanälen, in jedem Rundfunkrat sind Vertreter der evangelischen, der katholischen Kirche, in jedem Fernsehgremium. Sie haben überall ihre Hände drin und sie lenken die Meinung der Menschen, so dass echte Unabhängigkeit niemals entstehen kann. Herr Holzbauer hat es ja angedeutet: Im ursprünglichen Christentum hatten die Propheten und Lehrer das Wort. Sie waren für die spirituelle, charismatische Seite des Christentums zuständig, und dann kamen die Ökonomoi – also die Verwalter, die Wirtschaftler –, Episkopoi und Presbyteroi – d.h. Bischöfe und Priester. Sie hatten überhaupt keine spirituelle Funktion, das waren Verwalter. Aber sie sind natürlich raffiniert, weit cleverer, geldgieriger, auch raffiniert dabei, Geld zu erwerben, und so ist es bis heute.
Sie fragen sich vielleicht: Wieso? Wieso macht denn der Staat das? Er hat doch eigentlich nichts von der Kirche. Sagen Sie das nicht.
Schon im Neuen Testament gibt es Perlen, und da gibt es auch negativere Stellen. Schon bei Paulus im Neuen Testament heißt es z.B.: Jede Obrigkeit kommt von Gott.
Sehen Sie, die Politiker sagen sich: Wenn wir der Kirche nur genug zahlen, wird sie immer Gehorsam und Treue gegenüber dem Staat predigen – ob Kaiser, Könige, Feudalherren, demokratisch Regierende; das Volk war immer das Ausgenutzte. Die Kette der Korruptionsfälle – auch in unserem Staat – reißt nicht ab, und da sagt man sich: Da braucht man doch einen Bundesgenossen, der die Kinder lehrt: Ihr müsst trotzdem dem Staat, der euch am Leben erhält, der euch unterhält, dienen. Denken Sie auch an Luther: Der Christ ist ein freier Mann – und der Zusatz: und ein dienstbarer Knecht jeder Obrigkeit.
Der Staat – so die lutherische Lehre, und die ist da überhaupt nicht besser als der Katholizismus –, der Staat ist der Vollstrecker der Strafgesetze Gottes an den Menschen, heißt es bei Luther wortwörtlich. Und so – ist ja ganz klar – pilgern die Minister Joschka Fischer und Otto Schily zu Kardinalsernennungen nach Rom, der eine ehemaliger RAF-Anwalt, der in seiner Studentenzeit dem Staat hässliche Schimpfworte entgegengeschleudert hat, ihm verschiedentlich die Legitimität abgesprochen hat, der andere ehemaliger Molotow-Cocktail-Werfer gegen den Staat und gegen die USA – und die sagen sich nun: Unsere Macht können wir erhalten, wenn die Kirche hinter uns steht.
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Kaiser Konstantin (ca. 280 - 337) Dem grausamen Tyrann des Römischen Reiches wird von den katholischen Bischöfen die "Unfehlbarkeit" bescheinigt, sie beteten ihn gar an als "Allgegenwärtigster Gott". Im Gegenzug erhalten die Bischöfe Privilegien und Paläste.
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