Kirchenkritiker nehmen Stellung

Gerhard Rampp

Gerhard Rampp: Wenn Religionslehrer – so wurde behauptet – nicht bezahlt werden, dann müssen halt Ethik-Lehrer eingestellt werden. Das ist ein Trugschluss. Es ist zwar rechtlich gesehen ein ordentliches Lehrfach, aber gleichzeitig ein freiwilliges Fach. Es sind eine ganze Reihe von Staaten in Europa, es sind sämtliche Staaten auf dem Kontinent Amerika, von Feuerland bis Alaska, wo es keinen Religionsunterricht an staatlichen Schulen gibt, und mir ist auch dort kein Land bekannt, wo es einen Ethik-Unterricht gibt. Es ist ja nicht so – und das kann ich nun als Deutschlehrer und Ethiklehrer wirklich beurteilen –, dass durch Ethikunterricht die Menschen anständiger oder ethischer würden. Sie wissen dann vielleicht etwas mehr über ethische Problematik, was sie aber genauso im Deutschunterricht an Hand von Texten erfahren können, was sie zu bestimmten Fragen im Biologieunterricht, im Physik- und Chemieunterricht, etwa, was Umweltfragen angeht, genauso haben könnten. Das heißt: Es bräuchte eigentlich weder ein Fach Ethik noch ein Fach Religion extra an Schulen. Ich wüsste nicht, dass die Schüler in Frankreich unmoralischer oder unethischer sind, weil es dort keinen Ethik- oder Religionsunterricht gibt.

Ob die Finanzierung kirchlicher Privatschulen dem Staat billiger kommt als eigene staatliche oder nicht, das ist eine Spekulation, da mögen Leute unterschiedlicher Meinung sein. Wenn die Kirchen meinen, dass es ihnen zu teuer kommt, dann hätte ich es sehr gern, wenn sie sich daraus zurückziehen würden. Die Kirchen wissen sehr genau, warum sie das nicht tun.

Die Kirchen sind bei uns übrigens so autonom, also quasi staatlich, dass sie nicht einmal für Gerichtsverfahren Gerichtsgebühren zahlen, dass sie für den Erwerb von Grundstücken in einer Reihe von Bundesländern keinerlei Notariatskosten zahlen, in anderen Bundesländern deutlich reduzierte Sätze. So weit geht das.

Dieter Potzel: Und wenn die Kirchen hier genauso bezahlen müssten wie alle anderen Bürger auch, dann hätte der Staat schnell den Differenzbetrag zusammen, den er vielleicht braucht, um z.B. einen Kindergarten in eigener Regie zu führen anstatt eine konfessionelle Einrichtung zu finanzieren, die dann v.a. in kleineren Orten zudem eine Monopolstellung hat.

Gerhard Rampp: Jetzt die Frage: Kommen Pfarrer vor weltliche Richter? Ja. Selbstverständlich kommen sie genauso, wenn sie Straftaten begangen haben, vor weltliche Richter, allerdings werden sie halt – und das ist das Problem – häufig gedeckt. Häufig werden dann Zeugen unter Druck gesetzt. Ich glaube, da können jetzt andere Leute noch mehr dazu sagen. Wir haben in Augsburg so einen Fall gehabt. Ein Pfarrer hat in Petershausen über zehn Jahre lang ein Kind missbraucht und vergewaltigt – so könnte man fast sagen. Das war zu Beginn noch nicht einmal 14 Jahre alt. Und dann, als vor einigen Jahren die Ermittlungen begannen, da haben plötzlich, als es eine Haussuchung beim Ordinariat gab, zwei gesamte Blätter aus der Personalakte dieses Pfarrers gefehlt. Und der dann in den Zeugenstand gerufene damalige Generalvikar Kleindienst – er ist, glaube ich, jetzt in Rom bei der Deutschen Botschaft – der musste dann vom Richter wiederholte Male eindringlichst bei der Befragung ermahnt werden, und ihm wurde sogar ein Meineidverfahren angedroht. So weit ging das. Das heißt also, theoretisch kommen sie vor einen Richter, vor einen weltlichen, aber sie werden, so weit es möglich ist, eben auch geschützt.

Was können wir tun, dass die Trennung durch die Judikative ausgehebelt wird? Nun, auch Richter sind Menschen, auch Richter sind natürlich von der Kirche beeinflusst und nicht selten auch abhängig. Es gäbe schon eine Möglichkeit. Die EU würde zum Beispiel gern einen sogenannten Antidiskriminierungs-Paragraphen einsetzen. Wenn der käme, das wäre gut. So etwas hat die rot-grüne Koalition in Deutschland versucht. Das hätte nämlich bedeutet, dass der so genannte Tendenzschutz im Arbeitsrecht bei Kirchen zumindest da wegfällt, wo es nicht um innerkirchliche Angelegenheiten geht, sondern wo auch sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Es war schon ein entscheidungsreifer Gesetzentwurf vorgelegen, und auf Druck der Kirchen – nur der Kirchen – wurde der von der Rot-Grünen Regierung zurückgezogen. Ich glaube, das erweitert nur das Thema, das wir schon heute haben.

Jetzt aber, meine liebste Frage ist: Was können die tun, die schon ausgetreten sind? – Nun, es gibt in Augsburg seit jetzt schon über 90 Jahren, doch in den letzten 20 Jahren erst eigentlich schlagkräftig, den Bund für Geistesfreiheit. Das ist eine Vereinigung weltlicher Humanisten. Wir bieten z.B. für Leute, die keinen Beitrag zahlen wollen, auch die Möglichkeit einer beitragsfreien Betreuungsmitgliedschaft an.

Vielleicht zum Abschluss noch eine Zahl, die die, die schon ausgetreten sind, nicht mehr interessieren muss, aber vielleicht Bekannte von Ihnen, die noch Mitglied sind: Der normale Erwerbstätige zahlt im Jahr im Schnitt 600 € Kirchensteuer, 50 € im Monat. Das ist ziemlich genau der Durchschnitt von denen, die erwerbstätig sind – es zahlen ja viele gar keine Kirchensteuer: Hausfrauen, Arbeitslose, Schüler, Rentner. Wenn man das nun ein Leben lang zahlt, vierzig Jahre lang, mit diesem Durchschnittsbetrag und die Verzinsung dazurechnet, dann kommt am Ende ein Betrag heraus, je nach Zinshöhe, im Schnitt zwischen 100.000 und 150.000 €. Das ist eine Summe, von der man allein aus den Zinsen bequem die Lücke z.B. für die Rentenversicherung und für die Altenversorgung schon schließen könnte, die sich ja jetzt ohnehin auftun wird angesichts des Dilemmas im öffentlichen Gesundheitswesen. Von denen, die austreten, sind immerhin 30% religiös. Ein Bernhard Langer ist ausgetreten als tiefgläubiger Christ, mit der Begründung, die Kirche tut zu wenig für die Armen und zu viel für die Denkmäler. Und wenn sogar solche Leute austreten, dann können andere, die weit weniger gläubig sind, diesen Schritt erst recht tun. Und da muss ich sagen, wer aber gar nicht gläubig ist, der ist nicht nur feige, sondern der ist, wenn er ein bisschen rechnen kann, ja auch noch – fast möchte ich sagen – dumm, weil er noch nicht einmal seine eigenen Interessen und seine eigene Zukunft sichern kann. Denn, wie schon gesagt, wenn man diese immensen Beträge sieht, die man hier für sich einsparen kann, dann glaube ich, ist dies doch ein Signal, zumindest für die, die nicht so kirchengebunden sind, jetzt endlich den letzten Schritt zu tun.

Dieter Potzel: Dankeschön, Herr Rampp!


Matthias Holzbauer

Matthias Holzbauer: Ich wollte nur ganz kurz nochmal auf Haiti und Aristide eingehen. Der Wortbeitrag vorhin war ein klassisches Eigentor. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass Präsident Aristide ein katholischer Priester war, der als Präsident dann wieder den katholischen Laienstand angenommen hat. Ich habe in meiner Bibliothek ein Buch gefunden, in dem der heute als Despot bekämpfte und vertriebene Aristide vor 15, 20 Jahren noch begeistert gefeiert wurde als der Hoffnungsträger, der katholische Hoffnungsträger von Haiti. Ein typisches Beispiel: Die Kirche bietet sich häufig an als die Lösung für den Mist, den sie selbst produziert hat.

Nun zu der Frage: Was kann der Einzelne tun? Ich denke, es ist wichtig, dass man aufklärt, dass man Briefe schreibt, Leserbriefe, dass man Politiker anschreibt. Es gibt die Initiative „Mehr Geld für den Bürger“, die ganz klar fordert, man sollte diese Gelder lieber an die Bürger auszahlen, statt die Kirchen zu subventionieren (siehe dazu www.stop-kirchensubventionen.de). Das ist eine Möglichkeit. Man kann auch bei der Initiative „Ein Mahnmal für die Opfer der Kirche“ die Zeitung „Mahnmal aktuell“ (www.KirchenOpfer.de) bestellen, die vierteljährlich erscheint. Damit leistet man gleichzeitig auch einen Beitrag dazu, dass dieser Gedanke weiter verbreitet wird. Man kann auch Bücher lesen. Man kann Bücher weiterempfehlen. Auch das ist ein wichtiger Beitrag. Wir haben das Glück, dass wir im deutschsprachigen Raum sehr viele kirchenkritische Bücher haben. Das haben nicht alle Völker in Europa. Diesen Vorteil sollten wir nutzen.

Was mich vorhin noch angesprochen hat, war der Beitrag, dass viele Menschen noch immer in Angst und Schrecken gehalten werden. Wir haben die Situation in Europa, dass das bei uns nicht mehr so ist. Deswegen sollten wir als Beispiel den Menschen vorangehen, die diese Möglichkeit noch nicht haben. Wir sollten uns eben nicht abschrecken lassen. Ich weiß, dass viele vielleicht unbewusst nur noch deshalb in der Kirche sind, weil sie denken, na vielleicht gibt es doch ne ewige Verdammnis und dann möchte ich doch lieber, dass so ein Pfarrer mich beerdigt. Dazu kann ich Ihnen sagen, ich selber stehe auf dem Standpunkt »Gott ja – Kirche nein«. Das ist mein ganz persönlicher Standpunkt. Und bin überzeugt, dass Jesus von Nazareth so etwas wie eine ewige Verdammnis überhaupt nicht gelehrt hat. Deswegen lassen Sie sich nicht schrecken. Treten Sie ruhig aus der Kirche aus und werden Sie frei! Das war mein Schlusswort.


Prof. Hubertus Mynarek

Prof. Hubertus Mynarek: Zunächst noch einmal zu der Sache Religionsunterricht. Das ist ja gar kein Religionsunterricht, das ist Konfessionsunterricht. Stellen Sie sich vor, diese beiden christlichen Kirchen – katholische und evangelische – sind nicht mal fähig, ökumenisch e i n e n Religionsunterricht zu geben, sondern sie lassen sich doppelt vom Staat bezahlen im katholischen oder evangelischen Religionsunterricht. Das heißt, zwei Konfessionen, die sich seit Luther miteinander gestritten haben, die dürfen nun ihre differierenden Aussagen zur christlichen oder zu jeder Religion in die Kinder hineinpflanzen.

Es ist auch deswegen kein Religionsunterricht, weil nicht die ganze christliche Religion mit allen Gemeinschaften und Gruppen im Unterricht gebracht wird, sondern nur die beiden Kirchen, und von den anderen Religionen praktisch überhaupt nichts oder nur wenig. Das ist doch keine Religionskunde. Und wie soll man seinen eigenen Glauben leben, wenn man nicht wenigstens faire Vergleiche gezogen hat?

Zweitens, ich meine schon, Ethik müsste ein Pflichtfach sein. Eine unabhängige Ethik, eine Ethik, die darin besteht: Wo haben Atheisten, Agnostiker, Pantheisten und so weiter eine gemeinsame Basis? Nämlich in der Ethik, die von dem goldenen Grundsatz ausgeht: »Was du nicht willst, dass man dir tu, das füge keinem andern zu!« Und darauf wird aufgebaut, das Nichttöten und so weiter. Und wenn dann der Einzelne aus seiner Religion heraus was hinzutun will, das ist dann seine Sache. Aber eine Ethik, die alle Menschen verbindet, das ist ganz, ganz wichtig, und die wird eben nicht gelehrt. Sie wird auch im Ethikunterricht meist nicht gelehrt, weil die Kirche sofort geahnt hat: Viele Schüler und Schülerinnen, die in den Religionsunterricht gingen, sind in den Ethikunterricht übergewechselt, weil sie die Hoffnung hatten, dass dort objektivere Lehren an sie herangebracht werden. Als das die Kirche merkte, hat sie viele evangelische und katholische Theologen oder Extheologen, die aber noch in der Kirche sind, in den Ethikunterricht gebracht, das darf man nicht vergessen.

Gerhard Rampp: Ist in Bayern nicht zulässig.

Prof. Hubertus Mynarek: Aber in anderen Bundesländern. Da kann ich Hunderte Beispiele erzählen.

Wenn ich jetzt zum Schluss komme, dann möchte ich sagen, wir haben über Trennung von Staat und Kirche, über Anpassung an die Macht und das Geld gesprochen. Es ist einfach so, wie es der damalige Vatikansprecher Alessandrini gesagt hat, als er gefragt wurde, ob man auch mit Stalin und nicht bloß mit Hitler einen Staatskirchenvertrag geschlossen hätte: Natürlich, wenn Stalin gewollt hätte, er wollte nur nicht. Das heißt: Kirche verbündet sich mit jeder Macht, unabhängig von ihrer moralischen Qualität. Das ist ihr völlig gleichgültig, wenn das Geld fließt, wenn die Privilegien fließen. Das hat vor 150 Jahren schon ganz klar Dostojewski gesehen in seinem Buch »Die Brüder Karamazow«, worin sich die große Szene mit dem Großinquisitor befindet, in der dieser sinngemäß zu Jesus sagt: Du bist ein Trottel. Warum? Nun, der Satan, der Fürst dieser Welt, hat dir doch alle Reiche dieser Welt angeboten, und du Trottel hast verneint. Wir aber waren intelligenter und haben uns vor ihm verbeugt und haben die Gabe aller Reiche von ihnen genommen. Natürlich dienen wir jetzt nicht mehr dir, sondern ihm, dem freundlichen Fürsten dieser Welt.

Sehen Sie, das ist Macht. Macht kann so faszinieren, wie hier im letzten Beitrag von ihnen gesagt wurde: Geld und Macht – ich kann heute nicht Macht ausüben, wenn ich kein Geld habe. Geld kann Menschen ihr Gewissen abkaufen, deswegen ist es auch in der Kirche so: „Vor dem Gewissen steht die objektive Norm der Kirche“, sagt uns dieser ominöse Herr, Johannes Paul II. Während doch jede philosophische Strömung und jede Weltanschauung, die die Freiheit des Menschen will, sagen muss: Das Gewissen ist die höchste Instanz. Du kannst dich nicht nach anderen richten, du musst dich nach deinem eigenen Gewissen richten. Also, es ist die Macht, und noch einmal die Macht, und die Macht ist im Tiefsten – wenn sie andere unterdrücken und ausbeuten will – satanische Macht. Und dieser satanischen Macht dient die Kirche. Das kann man an Tausenden von Beispielen belegen. Dankeschön.


Vielen Dank!

Dieter Potzel: Ich möchte mit zwei Schlusssätzen an das letzte Plädoyer von Ihnen, Herr Prof. Mynarek, anknüpfen und zunächst in eigener Sache auf eine kleine Broschüre hinweisen, die es draußen kostenlos gibt. Der Titel: »Es braucht keine Kirche aus Stein, darum treten Sie aus, Sie sind nicht allein« (kostenlos erhältlich unter www.freie-christen.com). Die Begründung haben Sie in einer für mich exzellenten Art und Weise hier erneut dargelegt.

Dann möchte ich Sie zum Abschluss noch auf die Zeitung der Initiative Mahnmal hinweisen: »Mahnmal aktuell«. Das ist auch eine gute Möglichkeit, das Anliegen, das wir heute hier vertreten haben, zu unterstützen. Wir brauchen Förderer, wir brauchen Abonnenten. Die Zeitung erscheint viermal im Jahr. So werden Sie immer auf dem Laufenden gehalten.

Ich möchte mich bedanken, dass Sie heute Abend hier waren, dass Sie den Abend durch Ihre Beiträge so intensiv bereichert haben. Und ich wünsche mir, dass jeder irgendwas mitnehmen kann von diesem Abend, was ihm selber weiterhilft, und dass eine gute Sache auch insgesamt weitergebracht wird.


Vielen Dank!



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